Hörspiel

Texte von Eva Dörr-Vieregge

Die Hörspiele als Text:

Hoher Besuch

Dicke Ketten rasseln, ein lautes Quietschen, dann ein dröhnendes Poltern.

Heinrich und Margarete ducken sich hinter dem dicken Strohballen. Gleich neben dem Burgtor von Burg Bucherbach lauern die beiden Kinder. Eigentlich dürften sie gar nicht hier sein. Noch hat Heinrich nämlich sein Tagwerk nicht beendet.

Längst sollte er zu Hause in der der Hütte seiner Eltern sein.

Den ganzen Tag über war er mit den Gänsen auf der Weide unten am Bach. Im Sommer ist das Heinrichs Aufgabe. Frühmorgens , ..‘mit den Hühnern..‘ sagt Heinrichs Mutter, da steht er auf. Er wirft sich schnell seine Kutte aus grobem Leinen über, schlingt sich das gedrehte Seil um den Bauch und schlüpft, wenn‘s nass ist, in die alten Holzschuhe. Sie sind ihm viel zu groß, weswegen er nicht gut damit laufen kann. Wenn es trocken ist, läuft er natürlich barfuß, so wie alle anderen Kinder auch. Danach löffelt Heinrich rasch seine Morgensuppe, die die Mutter aus Milch und Gersten- oder Buchweizenmehl gekocht hat. Manchmal gibt es dazu eine dicke Scheibe Brot.

Eigentlich muss Heinrich noch das Holz holen, das Mutter morgens  zum Anfeuern der Kochstelle braucht.

Aber es ist zu spannend. Margarete und er ducken  sich noch immer hinter dem Strohballen.  Wenn man sie erwischt, gibt es für Heinrich sicher eine Tracht Prügel. Und für Margarete?

Doch hier ist keine Zeit zum Nachdenken. Quietschend öffnet die Wache das schwere Tor hinter der Zugbrücke. Heinrich kann die Spannung kaum aushalten. Schon hört er Hufgetrappel. Margarete klammert  sich an seinem Arm fest, sie hebt ihren Kopf um besser sehen zu können.

„Pscht, runter! Sie entdecken uns sonst. Und dann…..??“

Ja, was dann?

 

Graf Vincent

Die Kinder Heinrich und Margarete ducken sich hinter dem großen Strohballen.

Jetzt kann Heinrich ihn sehen. Was für ein prächtiger Rappe! Eine mit Gold und Silber durchwirkte Satteldecke hängt weit über den Rücken des wahrhaft riesigen Pferdes.  Sie glitzert im letzten Sonnenlicht des Tages. Fast muss Heinrich den Atem anhalten, als er den Kopf hebt, um dem abendlichen Gast ins Gesicht zu sehen.

Heinrich erstarrt. Eine rote Samtkappe auf den pechschwarzen lockigen Haaren, die ein gebräuntes Gesicht umrahmen, ein dicker Mantel aus schwerem blauen Stoff, den vorne Spiralmuster aus glitzerndem Garn zieren. Braune Lederstiefel mit schweren Sporen stecken in den Steigbügeln. Seitlich blitzt die edelsteinbesetzte Schwertscheide. Was für eine Erscheinung! „Oh ja, das ist er ! Das ist Graf Vincent „ murmelt Heinrich nur, während der ungewöhnliche Gast absteigt, das Gefolge durch‘s Burgtor reitet, die Maultiere und Pferde mit allerlei Säcken und Truhen beladen.

Margarete hatte Heinrich von dem hohen Besuch erzählt. Graf Vincent ist ein mutiger Mann! Der Vetter dritten Grades von Margaretes Vater kommt vom Kreuzzug aus Palästina, dort hat er tapfer gekämpft.

Heute sollte es zu seinen Ehren ein großes Rittermahl geben.

Was gäbe Heinrich darum, im alten Rittersaal Mäuschen spielen zu können!

Schon schließt sich dröhnend das Tor und eine Fanfare erklingt zur Begrüßung des hohen Gastes!!

 

Margarete und Heinrich

Die Kinder Margarete und Heinrich haben am späten Nachmittag heimlich die Ankunft von Graf Vincent beobachtet. Auch Margarete ist erstaunt über die Stolze, fremde Erscheinung des Grafen.

Margarete darf eigentlich nicht mit Heinrich zusammen sein. Es gehört sich nicht für die Tochter des Grafen, des Burgherrn, mit dem Sohn einer Magd zu spielen. Wenn ihr Vater davon erführe, gäbe es wieder großes Gezeter und drakonische Strafen.

Margarete mag Heinrich, es ist lustig mit ihm zusammen zu sein.

Margarete lebt hier auf der Burg Bucherbach, wenigstens große Teile des Jahres.

Als Tochter des Grafen führt sie ein angenehmes Leben. Heinrich dagegen muss den ganzen Tag, von Sonnenaufgang bis in die Nacht hinein, arbeiten. Und Margarete, die schafft es immer wieder zu entwischen. Dann findet sie Heinrich schnell irgendwo, die Burg ist nicht groß.  Einmal ist es ihr sogar gelungen, mit ihm an den Bach zu gehen. Dort haben sie gebadet, herum getobt, sich nass gespritzt.  Wenn das der Vater wüsste!!

Heute Abend findet ein großes Fest zu Ehren des besonders Gastes statt. Der entfernte Verwandte des Vaters, Graf Vincent, ist gerade vom Kreuzzug aus Palästina zurückgekehrt. Er ist ein wohlhabender Mann und ein wilder Krieger. Ein bisschen fürchtet sich Margarete vor ihm.

Seit Tagen sind alle Mägde und Knechte damit beschäftigt, im Palas den großen Saal herzurichten. Der steinerne Boden ist frisch geschrubbt, die langen Tische sind aufgebaut.

Viele Gäste hat der Vater eingeladen. Margarete und ihre Schwestern dürfen nur zu Anfang dabei sein. Feste sind nichts für Kinder.

 

Das Fest

Bald ist es so weit. An den Wänden brennen Fackeln, auf der langen Tafel sind große Leuchter aufgereiht. Am Ende des großen Saales mit seinen meterdicken Mauern und kleinen Fensternischen machen sich die Musiker bereit. Sie kommen aus dem Dorf, auch Heinrichs Vater ist dabei. Er spielt die Flöte. Ein anderer spielt die Laute- und es gibt noch einen Harfenspieler und eine Drehleier.

Am anderen Ende lodert im Rittersaal ein großes Kaminfeuer.  Trotzdem ist es kalt.

Nun kommt Margaretes Vater gefolgt vom Ehrengast, Graf Vincent, der die Mutter hereinführt. Alle tragen festliche Kleidung. Graf Vincent hat seinen blauen Mantel gegen ein samtenes rotes Wams eingetauscht, eine schwere Goldkette schmückt das Rüschenhemd. Die Mutter hat sich heute lange Perlen ins Haar flechten lassen, ihr geschnürter dunkelgrüner Umhang sieht edel aus zu ihrem blonden Haar.

Wenig später beobachtet Margarete mit Heinrich das lustige Treiben aus ihrem Versteck hinter dem Paravent, der neben der Tür die große Truhe verbirgt.

Aus schwerem Kristall wird reichliche roter Wein getrunken. Die Stimmen werden lauter, auf dem Tisch türmen sich die Knochen der Wildschweine, die, am Spieß gebraten, längst verzehrt sind. Laut werden Trinklieder gesungen, ach aber nein, es hört sich mehr wie Gegröle an. Ein Stimmengewirr, es klingt nach Streit. Margarete findet es nicht mehr angenehm heimlich zuzusehen. Am liebsten würde sie schnell aus dem Saal in die Kemenate verschwinden. Aber Heinrich kann seinen Blick nicht lösen.  Er hält vor Spannung die Luft an.

Da! Vincent springt auf und zückt sein Schwert, das an seinem Gürtel in der Hülle steckt. Sein Gegenüber, ein Nassauer Graf, greift ebenfalls zur Waffe.  Ein wilder Schwertkampf beginnt. Die Damen kreischen auf, die Männer schauen zu. Margarete schlüpft schnell durch die dicken Vorhänge aus dem Rittersaal hinaus. Das will sie nicht sehen. Soll Heinrich doch bleiben und erwischt werden!!

Da, ein Aufschrei geht durch die Gesellschaft! Der Widersacher des Grafen Vincent liegt am Boden. Blut rinnt aus einer Wunde am Hals.

Jetzt springt auch Heinrich auf aus seinem Versteck. Es graust ihn. Das will er nicht sehen. Vor lauter Schreck stößt er den Paravent um. Es poltert, die Wachen entdecken ihn.

Doch Heinrich kennt alle Winkel der Burg…..

 

Die Sturmnacht

In der Feuerstelle prasselt das Feuer. Die Flammen schicken unwirkliche, gespenstische Schatten an die verrußten Wände.

Am Feuer sitzen Heinrich, sein Bruder Johannes und der Vater.  Die Mutter sitzt etwas weiter weg am groben Holztisch, auf dem ein Talglicht brennt. Mit Nadel und Zwirn versucht sie Heinrichs Kutte zu flicken, in die er sich schon wieder einen Winkelhaken gerissen hat. Sie schubst hin und wieder die Wiege an, die von der Decke hängt und in der die kleine Elisabeth schläft.

Es kommt selten vor, dass Vater mit ihnen am Feuer sitzt und Geschichten erzählt. Meist hat er noch Arbeit bis tief in die Nacht, wird von Grafen gerufen, um irgendetwas in der Burg oder auch außerhalb zu erledigen. Doch heute Abend jagt man keinen Hund vor die Hütte.

Der Sturm heult durch die Bug Bucherbach, fängt sich im Hof, klettert um die Türme und stößt dabei sein Gebrüll aus. Der kleine Johannes erschrickt immer wieder, wenn er ein neues Geräusch hört. Da haut der Wind einen Holzstapel um. Dort kracht ein Stein von der Mauer. Durch die Ritzen, die zwischen den Brettern der Tür sind, sieht man, wenn ein Blitz die Nacht erhellt. Immer wieder zuckt der kleine Johannes zusammen, wenn danach der Donner wütend grollt. Der Vater legt schützend den Arm um ihn. Heinrich erschrickt sich auch, versucht aber, sich nichts anmerken zu lassen.

Da ist es wieder dieses Heulen. „Was ist das“?, murmelt Johannes mit weit aufgerissenen Augen und rückt ganz eng an Vater heran.

„Das ist der Maltitz“, erwidert der Vater. „Wer?“, fragen die Buben wie aus einem Mund.

Und dann fängt der Vater an zu erzählen:

 

Der Jäger Maltitz

„Vor langer Zeit hatte ein früherer Graf von Nassau einen Jägermeister namens Maltitz. Dieser Maltitz war ein wilder, übler Bursche. In den Wäldern, die dem Grafen gehörten, schoss er das Wild und sah nach dem Rechten.

Es war  Sonntag. Da überkam den Maltitz die Lust, auf die Jagd zu gehen. Er schickte nach den Treibern, das waren Bauern aus dem Dorf Kölln, das neben der Burg Bucherbach lag.

Doch die Bauern sagten dem Boten, sie könnten nicht kommen. Es sei Sonntag, da müssten sie ihre Christenpflicht tun und in die Kirche gehen.

Als der Bote die Nachricht seinem Herrn, dem Maltitz, überbrachte, wurde dieser rasend vor Zorn. Maltitz schickte den Boten erneut los und ließ den Bauern übermitteln, dass der, der nicht gehorche, im Kerker landen würde.

Aus Angst vor der Strafe gehorchten die Bauern jetzt.

Als sie im Forst oben am Heidenhübel eben einen riesigen wutschnaubenden Eber einkreisten, wehte der Wind das Glockengekäut der Kirche zu Kölln herüber.

Wiederum baten die Bauern den Jägermeister inständig, sie doch in die heilige Messe gehen zu lassen. Da wurde der Maltitz so wütend, dass er einem alten Bauern sogar eins mit dem Saufänger überzog.

Unversehens erhob sich ein gewaltiger Sturm, der Eber durchbrach das Unterholz, rannte auf den Maltitz zu, unterlief ihn, so dass er rücklings auf dem wütenden Eber saß, der mit ihm im Wald verschwand. Die Bauern sahen noch, wie Maltitz vergeblich versuchte vom Eber wieder abzuspringen. Doch allein, er schaffte s nicht.

Seither reitet  der Maltitz in manchen Sturmnächten mit Peitschenknallen, Hundegebell und einer wilder Jagdgesellschaft durch die Lüfte über der Burg Bucherbach. Und wehe dem Menschen, der das sieht! Ihn ereilt am nächsten Tag noch der Tod.“

Als der Vater zu Ende erzählt hat, flieht Johannes rasch zu der Mutter und schmiegt sich an ihre Beine. Auch Heinrichs Herz klopft, da sich draußen gerade wieder ein wildes Geheule erhebt. Ist das der Maltitz?